Dieter M. Gräf lives in Berlin. The following three poems are from his new book, Buch Vier.

 

„ACTIVATE THE SURFACE“
 (Hans Hofmann)

längs gekippt:
rote Säulen, für die Feuer
wehrleute, gingen

gegenläufig zu
den Entkommenden nach oben;

auf den Kopf gestelltes
Blau-als-Kammer,
voll, Zackensterne, balken

weise Weiß zwischen ab

strahlendem Over

allrot
 – kippendes
Guantánamoorange – –

 

 

FELTRINELLI SCHENKT ZUR HOCHZEIT
EINEN ASCHENBECHER


„und scheitern, ja, das bringts in diesem leben“
Th. Kling, Leopardi: L’Infinito / Das Unendliche


einen so großorange tischfüllenden Aschenbecher
  schenkt Giangiacomo Feltrinelli zur Hochzeit
von Renate und Walter Höllerer, als wollten sich
  alle darin ausdrücken, Asche im Design sein:
hier sind die Toten, noch bevor die Schüsse fallen.
  Auf einem der schönen Sessel liegt, achtlos
hingeworfen, der Gurt mit der daran angehängten
  riesigen Pistole. Nun in Havanna, in einer
kleinen Wohnung von siebzig, achtzig Quadrat
  metern, sie gehört Fidel Castro. Quasselt
wie ein Buch, so dass es nie zustande kommt, und
  Inge, nunmehr la Feltrinelli, fotografiert ihn
im Pyjama, den er bestimmt heute noch gern trägt.
  Giangiacomo trug zwei Häute und sah seltsam
aus, als es ihm endlich gelungen war, sie loszuwerden.
  Lief dann über Wiesen, die Zähne verkamen ihm,
getrocknete Hülsenfrüchte machte er nutzbar, indem
  er zeigte, dass sie ihr Volumen in Wasser
vergrößern, so dass ein Metallplättchen nach oben
  gedrückt werden kann, einen Zündmechanismus
auslösend; mische chlorsaure Kaliumtabletten aus
  der Apotheke und Puderzucker oder flüssiges
Paraffin und Sägemehl, kombiniert mit Schnitzeln
  von Waschseife. Der Verlag war fauve geworden,
kadmiumgelb, dunkelgrün, signalrot. Er grub sich
  allmählich weg, noch konnte man ihn an
nikotinfarbenen Fingern erkennen, den Geldspritzen,
  doch ist es gemein, zu sagen, dass das Grundstück
ihm gehört habe, auf dem er einen Hochspannungsmast
  sprengen wollte und selbst in die Luft flog.
Es ist nicht leicht, nach unten zu kommen, und
  nicht sinnlos, aber keiner sieht gut dabei aus.
Er griff zu Patronen, verchromt und glänzend, die
  Rundung von intensiv leuchtender Farbe. Ich
bat ihn darum, mir eine zu schenken (Morucci).
  Der Aschenbecher befindet sich nach vierzig
Jahren noch immer in Berlin-Charlottenburg, in
  der Heerstraße, nun auf dem Boden, wie ein
Hundenapf, der nie seinen Hund sah. Briefmarken
  wurden hier abgelegt, Expressaufkleber, auch
das schöne Sachen, die bald keiner mehr braucht.

 

 

DER NACKTE GINSBERG

ist auf das Feuerleiter-Z geklettert,
zeigt denen, die unter ihm wohnen:
Ich habe Gott gesehen! Immer

noch dort, auf der Höhe eines
niederen Seraphim, ungefähr
in der Sphäre der sechs Gesims

engel des Bayardbuildings;
ihre weit ausgebreiteten Arme,
als würden alle gemeinsam

herunterspringen. Altmodisch
ist die Stadt geworden,
spätestens seit die fedayin-Piloten

ihre Filme echteten, toppten,
seit das 21. Jahrhundert sein Colosseum
reinschlug als Grube, Nichts.

Die Entkommenden sahen
aus wie ein Stamm.
Sonne, Mond und Sterne

sind nach wie vor Wolkenkratzer,
und auf denen, die den nackten Ginsberg
beherbergen, wachsen Bäume.

Selbst gewaltigere spenden farbiges Licht.
Solche Gebirge, nebelverhangen,
und aus den Gullys der Schluchten

steigt Dampf, in die Madison Ave.,
in die Fifth Avenue. Donald Trump
verkündet, die Twin Towers nach

bauen zu wollen, höher! Derweil
in einem Shabu Shabu Restaurant
sitzen, am Haus von Edgar Allen Poe

der berittenen Polizei zusehen.
John Lennon ist tot. Das verstehen
wir alle, unter und über den Wassertanks.

 

© Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2008